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Fr 24 Mai

Innerhalb des letzten halben Jahres habe ich es nun bereits zum dritten Mal erlebt, dass Lehramtsstudentinnen völlig frustriert und teilweise sogar weinend vor mir sitzen.
Diese jungen Frauen kenne ich alle sehr gut. Jede einzelne ist eine gefestigte Persönlichkeit, von der ich zutiefst überzeugt bin, dass sie eine tolle, kreative und engagierte Lehrerin ist.(beziehungsweise sein wird)
Zwei davon unterrichten schon fix in einer Klasse, müssen ihr Studium jedoch noch abschließen.
Als ich vor vielen Jahren mit meinem Studium fertig wurde, hatte ich zwar das Gefühl, absolut nichts vermittelt bekommen zu haben (und zwar wirklich a b s o l u t   n i c h t s), aber ich  konnte mit einer gewissen  Leichtigkeit in den Beruf einsteigen.
Damit meine ich, dass "Lehrer-Neulinge" damals noch die Möglichkei hatten, ausprobieren zu dürfen, wie es denn nun am besten funktioniert.  Die zu dieser Zeit noch tatsächlich geltende "Methodenfreiheit" war für Anfänger genau das Stück Freiheit, das enorm wichtig war, um sich weiter entwickeln zu können.

Heute haben die Studenten -genauso wie damals - das Gefühl, wenig bis nichts vermittelt zu bekommen. Sie ärgern sich über schlechte Stundenpläne, viel zu wenig Praxis und  sinnlose Lehrverabstaltungen.
Der große Unterschied ist jedoch, dass sie nicht das Gefühl haben, hineinwachsen zu dürfen. Es wird von Anfang an sehr viel gefordert  (jedoch vor allem unnötige schriftliche Abhandlungen), aber absolut nichts geboten, um Sicherheit in diesem Beruf zu bekommen ( vermehrte praktische Übungsmöglichkeiten).
Der sinnlose Druck, den alle Lehrer zurzeit spüren, ist also auch schon  bei den Studenten ein Thema.
Schade! Der Lehrermangel wird somit wahrscheinlich noch länger ein Thema sein :-(




 


Fr 17 Mai

Die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden ist eine der Schulen, die in Deutschland die besten Ergebnisse beim PiSA-Test erzielt hat.
Gleichzeitig ist sie eine der Schulen, die ohne Noten auskommt, wobei eine jahrelange Entwicklungsphase gebraucht wurde, um alle Lehrer dieser Schule von diesem System zu überzeugen. Denn einst war diese Schule ein Gymnasium wie jedes andere, bis 1986 Enja Riegel ihr Amt als Direktorin antrat und die Schule nach und nach reformierte. Nach vielen Anstrengungen konnte sie damit schließlich großartige Erfolge feiern und aufzeigen, dass das Weglassen der Noten positive Entwicklungen bei Schülern und Lehrern ermöglicht.
Die entscheidende Veränderung ist, dass jeder einzelne Schüler nun das Gefühl hat, dass es um seine Persönlichkeit und seine Fähigkeiten geht. Statt Zeugnisnoten gibt es Lehrer- Eltern-Schüler-Gespräche, bei denen die Schüler ihre besten Arbeiten präsentieren. Das kann ein gelungener Aufsatz, ein tolles Bild, ein gedrehtes Interview etc. sein.
Kann ein Schüler dadurch seine eigenen Leistungen präsentieren und werden diese entsprechend gewürdigt und ernst genommen, so ist er auch offener für Kritik: In dem einen oder anderen Fach muss er sich vielleicht mehr anstrengen.
Ich glaube auch, dass Schule so wunderbar funktionieren kann. Wichtig wäre allerdings, alle Lehrer punkto Gesprächsführung gut auszubilden, um professionell arbeiten zu können.
Leider geht unser Schulsystem einen ganz anderen Weg.
Zusätzlich zu den Noten müssen die Schüler und Lehrer immer mehr Tests über sich ergehen lassen: Damit sollen wir endlich alle einen vorgegebenen Standard erreichen! Dass das der gleichzeitigen Forderung nach Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten widerspricht, scheint noch nicht durchgesickert zu sein.








 
 


Mo 29 Apr "Emphatie" ist unseren Schülern nicht nur bedeutungsmäßig ein Fremdwort (das muss auch kein Volksschüler wissen!) , sondern vor allem im lebenspraktischen Bereich etwas, das in ihrer Gefühlswelt nicht vorhanden zu sein scheint. Wie man in dem Buch "Das Gedächtnis des Körpers" von Joachim Bauer lesen kann, sind "bisherige Beziehungserfahrungen in Nervenzell-Netzwerken des Gehirns gespeichert. Seelische Gesundheitsstörungen haben ihre Basis in der Fehl-bzw. Unterfunktion funktioneller Schaltkreise, insbesondere des für kognitive und emotionale Leistungen verantwortlichen limbischen Systems, wobei diese durch frühe sozioemotionale Ereignisse eingeprägt sind...." und weiter: "Das Gestalten von zwischenmenschlichen Beziehungen funktioniert überwiegend über implizites, also automatisch angewandtes Wissen, das heißt unbewusst und es ist für das explizite Nachdenken nicht oder nur mit Mühe zugänglich." Dass das wirklich zutrifft, erlebe ich zur Zeit leider sehr stark in unserer  Klasse. Die Schüler aktivieren ständig festgefahrene  Verhaltensmuster, die ihnen Schwierigkeiten bereiten und haben eigentlich keine Ahnung warum. Mit ihnen darüber zu reden, erscheint innerhalb des Klassenverbandes zumeist vollkommen sinnlos, da sie davon offensichtlich überfordert sind und es in ihnen nur Widerstand auslöst. Der tägliche Umgang mit den anderen Kindern der Förderklasse (die ebensolche Probleme haben), trägt dazu bei, noch mehr negative Muster kennenzulernen. Gute Psychotherapeuten könnten solchen Kindern wahrscheinlich helfen. Kein einziger unserer Schüler macht eine Therapie, zwei warten seit Monaten auf einen Therapieplatz. Ich habe momentan das Gefühl, dass ich den Kindern in ihrer Persönlichkeitsentwicklung überhaupt nicht weiterhelfen kann, weil das Ausmaß an herrschender Aggression und Selbsthass in unserer Gruppe unbewältigbar  ist. So hanteln wir uns zwar von einem Tag zum nächsten, erleben miteinander ...

Do 6 Sep ... und ärgere mich wieder einmal darüber, dass das so schnell verschrieben wird.
Ralph hat uns heute seine gesamte Medikation heruntergeleiert und ich kann nur sagen: DER ABSOLUTE IRRSINN! Da ist Ritalin nur ein Teil seiner täglichen Einnahmen!

Abgesehen davon, dass es extrem ungesund ist, hat man als Lehrer das Gefühl, dass man das Kind gar nicht wirklich kennt. Sein wahres Ich ist ja verborgen unter diesen persönlichkeitsverändernden Wirkstoffen.

Wird Ritalin nach längerer Zeit abgesetzt, hat das Kind Entzugserscheinungen und ist dadurch noch schwieriger als vorher!
Mein Kollege Max und ich sind in den letzten Jahren schon ein paar Mal eingefahren, wenn wir angefragt haben, ob man vielleicht ein bisschen reduzieren kann. Die Ärzte haben ablehnend reagiert. Trotzdem werden wir bei Ralph auch fragen.

Wir haben heute beschlossen, dass wir die vielen psychologischen Gutachten und die Berichte der vorigen Schulen vorerst einmal bewusst NICHT lesen.
Es ist viel angenehmer, Kinder einfach kennenzulernen - ohne Vorgeschichte.

Der heutige Schultag war großteils friedlich. Vielleicht führen wir einen Sprechersessel oder Sprecherplatz ein, damit bei Streitereien nicht alle durcheinander reden.

Ab morgen werde ich auch wieder regelmäßig vorlesen.

So 2 Sep

... dann ist es wieder so weit, und der alltägliche "Schulwahnsinn" beginnt.

Nach 15 Jahren Unterricht habe ich das Gefühl, schon etwas routinierter zu sein. Aber ich weiß, dass ich wieder Zeiten erleben werde, in denen ich an mir selbst zweifle, ich mich überfordert oder von der Öffentlichkeit schlecht behandelt fühle.

Vielleicht geht es auch anderen Lehrern ähnlich.
Und vielleicht hilft es meinen Kollegen (und vielleicht auch mir),
wenn ich täglich einen kurzen Blog-Eintrag über meine Erlebnisse aus dem Schulalltag und Gedanken zu meinem Lehrer-Dasein hier veröffentliche.

Ich arbeite seit drei Jahren als Förderlehrerin und unterrichte mit meinem Kollegen kleine Gruppen von extrem verhaltensauffälligen Kindern. Davor habe ich mit viel Freude drei Mal eine Volksschulklasse von der ersten bis zur vierten Klasse geführt. Dann aber war es für mich wichtig, auch einmal etwas Neues zu probieren.

Um die Persönlichkeitsrechte meiner Schüler zu wahren,
werde ich diesen Blog mit einem Pseudonym schreiben
und alle Namen der Kinder verändern.

So, und jetzt freue ich mich auf morgen :-)



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