Suchmenü einblenden

Fachartikel


Beziehungserfahrungen, Entwicklungsbedingungen und Belastungserleben von Kindern depressiver Mütter
von Mag. Nicole Erker (ehemals Priester)
Kinder, die mit einem psychisch kranken Elternteil, insbesondere einer depressiven Mutter zusammenleben, sind innerhalb ihres Lebensalltages großen Belastungen ausgesetzt und haben ein erhöhtes Risiko, selbst psychiatrische Störungen zu entwickeln.
Unglücklicherweise beachten jedoch Fachleute, die mit psychisch kranken Erwachsenen arbeiten, oder einzelne Familien und vor allem unsere Gesellschaft fast immer nur die Erkrankung der Mutter und ignorieren dabei das einzelne betroffene Kind. Auch wenn der Fokus auf die depressive Mutter gerichtet ist, wird trotzdem nicht unterschätzt, dass das Zusammenleben mit einem depressiven Vater eine ebenso destabilisierende Wirkung auf ein Umfeld oder die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes haben kann.
Es wird deutlich, dass depressive Lebensabschnitte nicht nur für den Betroffenen, sondern vor allem für das unmittelbare soziale Umfeld und insbesondere für das einzelne Kind enorme Belastungen mit sich bringen. Da eine depressive Mutter den emotionalen Bedürfnissen ihres Kindes auf Grund der eigenen Niedergeschlagenheit häufig kaum nachkommen kann, ist die Frage nach der psychischen Gesundheit sowie der emotionalen Entwicklung dieses Kindes besonders wichtig.

Depressionen zeichnen sich hauptsächlich durch eine gedrückte Stimmung und ein Niedergeschlagensein aus, wobei deren Beschwerdebild aber sehr unterschiedliche Formen annehmen kann. Häufig besteht ein Gefühl der inneren Leere, der Sinnlosigkeit, des Pessimismus bis hin zur Verzweiflung. Depressive Menschen zweifeln meistens an der Zukunft oder auch häufig an sich selbst, während unter anderem deren Fähigkeit eingeschränkt ist, Erlebnisse oder Umstände genießen zu können. Oft ist die Stimmung vor allem am Morgen besonders tief, wodurch sich die Betroffenen kaum zu Alltagsaktivitäten aufraffen können und vielfach auch tagsüber müde sind oder in besonders schweren Fällen es nicht schaffen, aus dem Bett aufzustehen.
Die Depression kann also insgesamt betrachtet, als eine gedrückte Gemütshaltung beschrieben werden. Leitend ist dabei die These, dass wahrscheinlich jeder Mensch im Laufe seines Lebens kurzzeitig gedrückte Stimmungen sowie Phasen der inneren Erschöpfung oder Mutlosigkeit kennen gelernt hat. Während manche Menschen nur eine einzige depressive Episode erleben, sind andere immer wieder von Depressionen betroffen.

Eine Depression innerhalb der Familie verändert prinzipiell das gesamte Familiensystem, weil sie wie gesagt auf andere Menschen abfärbt und deren Verhalten ändert. Erkrankt die Mutter an Depressionen oder depressiven Verstimmungen, leidet aber in erster Linie vor allem die Erziehung der Kinder, insbesondere die Mutter-Kind-Beziehung darunter, denn üblicherweise lassen Aufmerksamkeit und Zuwendung nach, was den Eindruck von Gleichgültigkeit, Kühle und Lieblosigkeit vermittelt.
Grundsätzlich entwickelt das betroffene Kind aufgrund der Unvorhersagbarkeit des mütterlichen Verhaltens emotionale Irritationen, große Sorgen und Ängste. Es ist verwirrt, weil es die Probleme seiner Mutter nicht einordnen oder auch ebenso wenig verstehen kann und erhält im Falle der Depression darüber hinaus meistens keine ausreichende emotionale Zuwendung und Unterstützung seiner Aktivitäten sowie Interessen.

Kinder benötigen allgemein zuverlässige, stabile und berechenbare soziale Beziehungen, die ihnen Unterstützung, Anregung sowie Versorgung für ihre persönliche Entwicklung gewähren. Häufig reagieren depressiv erkrankte Menschen unangemessen auf ihre Umwelt, zeigen nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen oder leiden unter Affekt- und Stimmungsschwankungen. Dies kann bei den Kindern zu Irritationen und Verunsicherung führen, woraus eine völlige Desorientierung resultieren kann. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass psychische Störungen aus anderen Formenkreisen noch tiefgreifendere Belastungen oder Veränderungen mit sich bringen können. Besonders belastend erleben die Kinder dabei ihre Lebenssituation, wenn sie zusätzlich in die Wahnwelt des erkrankten Elternteils einbezogen werden. Dabei kann Angst für die Kinder zu einem ständigen Begleiter werden und nimmt in ihrem Leben in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen einen zentralen Stellenwert ein.
Ein weiteres Problem sind Schuldgefühle, die Kinder depressiver Mütter häufig unmittelbar entwickeln können. Sie glauben oft fest daran, dass sie an den psychischen Problemen der Bezugsperson Schuld tragen. Die Kinder nehmen die Krankheitssymptome und die Beeinträchtigungen der Mutter wahr und erleben subjektiv die Folgen. Aufgrund fehlender Aufklärung können sie weder Verständnis für die besondere Lebenslage der kranken Mutter aufbringen, noch können sie das gezeigte Verhalten deuten oder einordnen. Mitunter entwickelt das depressive Verhalten über verdeckte Vorwurfshaltungen hinaus, real ungerechte, abwehrend – vermeidende oder aggressiv – zurückweisende Interaktionen, die vor allem bei depressiven Vätern auch aggressiv kommuniziert werden. Bedingt durch das Verschweigen der Erkrankung und das häufige verschleiern der Symptome, denken die betroffenen Kinder, dass die Krankheit eine Folge ihres eigenen Verhaltens ist.
Unter anderem sind sie in vielfacher Weise von der psychischen Erkrankung des Elternteils mit betroffen und fühlen sich in der Regel nicht nur für den Erkrankten verantwortlich, sondern für die gesamte Familie. Und dies nicht selten ihr Leben lang, denn häufig übernehmen sie schon sehr früh Partner- oder Elternfunktion und müssen darüber hinaus mit all ihren Ängsten und Nöten ganz alleine fertig werden. Statt beschützt und behütet aufzuwachsen, werden sie nicht selten über Nacht zur Stütze der Familie.

Je stärker die genannten Aspekte auf die Lebenssituation betroffener Kinder zutreffen, desto höher ist deren individuelle Belastung und umso höher ist auch das Risiko, dass das Wohl des einzelnen Kindes gefährdet ist. So dürften die Auswirkungen der psychischen Erkrankung der Mutter auf die Kinder umso gravierender sein, je jünger sie sind, je intensiver und chronischer der Krankheitsverlauf der Depression ist, je stärker die Kinder in die Erkrankung mit einbezogen werden und je weniger sie darüber informiert sind, je weniger das gesunde Elternteil oder andere Bezugspersonen in der Lage sind, eine kompensatorische Rolle einzunehmen, je mehr die Kinder eine, sie überfordernde Verantwortung in der Familie übernehmen müssen und je geringer die sozialen sowie ökonomischen Ressourcen der Familie sind.
Es kann dennoch nicht grundsätzlich angenommen werden, dass sich aus jener familiären Konstellation, nämlich aus den Beziehungserfahrungen zu einer depressiven Mutter zwangsläufig pathologische Entwicklungen ergeben. Vielmehr ist auch eine positive Situationsbewältigung der betroffenen Kinder möglich, wobei besonders die Eigeninitiative und die Selbstgestaltungsmöglichkeiten der jeweiligen Familie ausschlaggebend und als Versuch für die Bewältigung hervorzuheben sind.

Nur indem innerhalb unserer Gesellschaft die Depression als Krankheit wertvoller Menschen zunehmend anerkannt wird, kann eine Enttabuisierung der psychischen Krankheiten und eine angemessene professionelle Unterstützung, die den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder depressiver Mütter entspricht, erreicht werden.


Mag. Priester Nicole
Kindergartenpädagogin und Hortnerin
Studium der Pädagogik- und Sonderheilpädagogik an der Universität Wien
Kommunikations- und Wirtschaftstrainerin
Lebens- und Sozialberaterin in Ausbildung

Sie sind hier: LiteraturFachartikel

Weitere bestNET.Portale

powered by T3consult
Datenschutz-Erklärung