Nach einer Woche Pause haben wir uns wieder in der Schule eingefunden und alle scheinen zu merken, dass das Aufstehen ein bisschen leichter geht, wenn es draußen zumindest schon dämmrig ist.
Ich habe meine Ferien unter anderem für Gespräche mit Studienkolleginnen genützt, die auch eine Klasse übernommen haben und wieder einmal gemerkt, dass ich es ziemlich gut getroffen habe. Allein die Tatsache, dass ich vormittags aufs Klo gehen kann, ist bei Weitem nicht selbstverständlich. Manuel und ich können uns zwischen 8 und 13 Uhr austauschen, absprechen, beraten. Nach 5 Monaten zu zweit in der Klase kann ich mir - Integration hin oder her - kaum mehr vorstellen, jeden Tag vier bis fünf Stunden lang alleine in der Klasse zu stehen. Auch die Möglichkeit, sich ein bisschen abzuwechseln, ist Gold wert: nachdem Leila Manuel heute schon an seine Grenzen getrieben hatte, konnte ich einspringen und mich mit Leila beschäftigen, während Manuel einen anderen Teil des Unterrichts übernommen hat. In einem guten Team geht das - deshalb bin ich so froh, einen so motivierten Kollegen zu haben! Vermutlich kann ich das gar nicht genug schätzen und das merke ich, wenn Freundinnen klagen, in ihrer Schule kaum Ansprechpartner zu haben. Menschen, bei denen man einmal weniger gut gelaunt oder auch weniger motiviert sein darf, solche, die nicht nur daran interessiert sind, wie lange man noch am Kopierer braucht. Ich kann also nur wiederholen: Ich bin sehr froh, zu zweit in der Klasse zu sein!
Als ich am Anfang des Schuljahres gehört habe, dass ich keine Noten geben darf, war mir das erst einmal gar nicht recht. Weniger deshalb, weil ich Noten so toll finde, sondern weil ich mich mit alternativen Leistungsformen nicht sonderlich gut ausgekannt habe.
Jetzt, wo ich per KDL (Kommentierte Direkte Leistungsvorlage) beurteile, bin ich sehr froh darüber.
Was sagt eine Note denn schon aus? Manche Kinder können in einem Fach alles, wirklich alles. Gleichzeitig benehmen sie sich die Hälfte der Zeit so, dass alle anderen gestört sind und ich glauben muss, dass sie übergeschnappt sind. Welche Note gebührt solch einem Kind? Eine Frage, die für mich kaum beantwortbar ist. Ich bin deshalb sehr froh, dass eine Kollegin mich mit einer Vorlage ausgestattet hat, mit deren Hilfe ich den Kindern in allen möglichen Bereichen Rückmeldungen geben kann.
Nicht nur Deutsch, Mathematik und Sport, sondern auch: Ordnung halten. Sich an die Klassenregeln halten. Sich nicht ablenken lassen. Sich bemühen. Selbstständig sein.
In diesen Gebieten können sich auch Kinder noch verbessern, die bereits fließend lesen können oder beim Kopfrechnen die Schnellsten sind.
Und das Beste daran: bisher hat noch jeder Elternteil das eigene Kind erkannt in dem, was ich anhand der Vorlage gezeigt habe. "Ach, Sie müssen auch immer alles dreimal sagen? Das kenne ich doch!"
Und in dem Moment war meine ganze Angst vor den "bösen Elterngesprächen" weg, wir waren ein Eltern-Lehrer-Team, das das Beste für das Kind will. Ich hoffe sehr, dass auch der Rest der KDL-Gespräche so verläuft!
... und außerdem sind die Kinder um ungefähr die Hälfte netter, freundlicher und hilfsbereiter gekommen als im September. Es bringt eben doch was, dahinter zu sein! Auch wenn Manuel und ich uns vor Weihnachten wirklich den Mund fusselig geredet haben, um diese Kinder zu einem normalen Umgang miteinander zu bewegen - es hat etwas bewirkt!
Über die Ferien haben die Kinder natürlich auch einiges vergessen, aber damit haben wir ja gerechnet. Insgesamt gesehen sind wir topfit unterwegs und lernen wie die Wilden!
Nebenbei beginnen jetzt die Beurteilungsgespräche, von denen wir eins schon hinter uns haben. Nachdem ich am Anfang des Schuljahres irgendwie doch Angst hatte, die Kinder würden bei mir aus irgendeinem Grund zu wenig lernen, habe ich jetzt durch die Auseinandersetzung mit den Beurteilungen gemerkt, dass ich mir da umsonst Sorgen gemacht habe.
Trotzdem ist es wohl gut, dass ich mir Gedanken mache. Seit Kurzem bekomme ich nämlich verstärkt mit, wie schlecht manche Lehrer unterrichten und wie vertrottelt manche Hausaufgaben sind - nur dazu da, den Kindern Sorgen zu machen und Leistungsdruck aufzubauen! Zum Teil verspüre ich da schon ein gewisses Fremdschämen bei solchen Kollegen, egal, ob Volksschule, Hauptschule oder Gymnasium. Und gleichzeitig merke ich wieder, warum Lehrer gesellschaftlich oft einen so schlechten Ruf haben. Von irgendwoher kommt der eben doch...leider. Aber: zumindest man selbst kann etwas dafür tun, dass dieser Ruf auf sich selbst nicht zutrifft!
Nach dreieinhalb Monaten haben sowohl die Kinder als auch wir uns eine Pause verdient. Manuel und ich waren heute beide überrascht, wie lieb die Kinder gegen Ende waren. In dieser Hinsicht sind wir beide wirklich nicht verwöhnt.
Nach den Ferien stehen unsere Beurteilungsgespräche an: mit jedem Kind eine halbe Stunde, wobei auch die Eltern anwesend sind. Wir sind schon gespannt, wie das ablaufen wird - immerhin werden es meine ersten Beurteilungen. Manuel hat glücklicherweise schon etwas mehr Erfahrung und außerdem habe ich das Gefühl auch ein besseres Händchen mit den Eltern. Vielleicht ist es auch einfach noch ein bisschen neu für mich (immerhin hatte ich in den 3 Jahren auf der PH kein einziges Seminar zum Thema Elternarbeit...). Über die letzten 3,5 Monate haben mich auch eher die Eltern geschafft als die Kinder selbst, muss ich sagen (bei denen geht zumindest deutlich etwas weiter).
Ich bin vor allem auf die Form der Beurteilung gespannt, bei der die Kinder bei den Gesprächen dabei sind. Da gibt es kein Über-den-Kopf-der-Kinder-Reden, sondern das Kind selbst demonstriert sein Können und muss sich auch mit seinen Schwächen auseinandersetzen. Und gerade bei unseren Kindern, die vielleicht ein wenig zu oft vermittelt bekommen, sie hätten überhaupt keinen Schwächen, ist das wahrscheinlich gar keine schlechte Idee.
Aber jetzt erst einmal: die am härtesten verdienten Ferien meines Lebens! :-)
Im Gespräch mit einer Kollegin kam heute wieder einmal das Thema Inklusion auf. Offenbar wird die Umsetzung der "inklusiven Schulen" jetzt tatsächlich konkret - Hochschulstudenten sollen länger studieren, dafür aber mit Volksschul- und Sonderschullehramt abschließen.
Was gar nicht schlecht klingt ("Aufwertung des Berufs", "bessere Jobchancen") erinnert bei näherer Betrachtung doch sehr an eine simple Einsparungsmaßnahme: sind momentan in einer Integrationsklasse noch 2 LehrerInnen eingesetzt, "braucht" es bald nur doch einen, der ja sowieso doppelt ausgebildet ist. Klingt vielversprechend - in der Theorie.
In der Praxis allerdings, und das kann ich mir seit Schulbeginn deutlich vorstellen, sieht die Sache anders aus. Ich male mir meinen normalen Schulalltag ohne Manuel aus und bin mir nicht einmal sicher, ob das einen einzigen Tag gutgehen würde, Ausbildung hin oder her. Denn wenn mir mit der Ausbildung nicht auch noch zwei zusätzliche Hände wachsen, wird es schwierig, alles aufzuheben, was Kübra von sämtlichen Tischen fegt und mit der anderen Hand Hasan daran zu hindern, unseren Tafelschwamm aufzuessen, während Leila die gesamte Klasse unter Wasser setzt. Klingt lustig, ist es in der Realität aber selten. Und deshalb geht es in dieser Hinsicht wohl kaum um Aufwertung, sondern vielmehr darum, dass ein Mensch nun mal nur eine bestimmte Anzahl an Dingen gleichzeitig tun, sehen und beeinflussen kann. Ein Unterricht ohne Manuel wäre vielleicht möglich, würde aber darauf hinauslaufen, dass ich unsere fröhlichen, interessierten, aufgeregten, sozialen Integrationskinder einfach irgendwo festhalten müsste, um mich irgendwann auch noch dem Volksschulunterricht zu widmen. Ideallösung? Wohl kaum.
Vor einigen Tagen hatte ich zum ersten Mal ein Gespräch mit Elias' Mutter, um den ich mir am Anfang eigentlich am meisten Sorgen gemacht habe.
Er war antriebslos, übertrieben frech in Konfliktsituationen und aggressiv sowohl gegen die anderen Kinder als auch gegen Manuel und mich. Ich dachte, ich würde nie mit ihm warm werden. Ich dachte auch, er würde so, wie er sich benahm, keine Freunde finden. Und ich war besorgt, dass er vielleicht nicht Lesen lernen würde, ohne jegliche sichtbare Motivation.
Die Mutter, die zu mir kam, weil sie sich dieselben Sorgen gemacht hatte, erwartete wohl von mir, dass ich genau das bestätigte. Stattdessen konnte ich ihr mit gutem Gefühl sagen, dass meine Beziehung zu Elias immer besser wird, dass er im Innersten ein sehr lieber Bub ist und dass ihn mittlerweile gleich zwei Kinder, Taran und Fanny, als "ihren besten Freund" bezeichnen. Die Buchstaben hat er leider bisher nicht gelernt - in Wirklichkeit bräuchte er Einzelbetreuung, um mithalten zu können - aber wir haben beschlossen, ihm auf dem Gebiet noch ein wenig Zeit zu geben.
Zu groß war unsere Erleichterung darüber, wie sehr er sich sozial gebessert hat! Solche Erkenntnisse machen meinen Beruf zu einem sehr schönen - und zeigen mir, dass Geduld sich eben doch auszahlt.
Nachdem ich jetzt 10 Wochen lang unterrichtet habe - Himmel, das klingt kurz und war lang! - muss ich sagen, dass es noch immer Spaß macht. Es ist auch noch immer anstrengend, aber die Kinder (von denen ich anfangs geglaubt habe, ich würde sie nie nett bekommen) bessern sich. Nicht so sehr zueinander, es wird noch immer geboxt und geschlagen und gepetzt, aber immerhin zu mir.
Dass es mir eigentlich zuwider ist, sehr streng zu sein, hat die letzten Wochen nur noch anstrengender gemacht. Was ich aber schön finde, ist: es zahlt sich aus. Gerade meine Schülerinnen und Schüler, die zuhause kaum Grenzen vorgesetzt bekommen und das meiste einfach d ü r f e n, weil sich eben offenbar niemand durchsetzen will, wirken ganz froh darüber, sich auszukennen. Ich bemühe mich, fair zu sein und klare Regeln zu haben, mache mir und den Kindern aber auch klar: niemand ist fehlerlos. Und es wird passieren, dass man einmal aufräumen muss, ohne ausgeräumt zu haben, so ist das eben. Die positiven Rückmeldungen der Kinder (ich wurde heute schon UMARMT und das ist bei diesen Kindern wahrlich nichts Alltägliches!) freuen mich schon sehr. Und ich merke auch, wie wichtig es ist, dass ich mit den Kindern gut kann und sie mit mir.
Der bevorstehende Elternsprechtag allerdings liegt mir im Magen. Ich habe nach einigen gemachten Erfahrungen mit einigen Eltern das Gefühl, sie werden es mir schwerer machen als die Kinder. Zum Glück habe ich doch noch zwei Wochen Zeit und kann mir genau überlegen, was ich wann zu wem aus welchem Grund sage!
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